Eine Reise nach Mexiko



Dass ich noch einmal eine abenteuerliche Reise durch den Süden Mexikos machen würde, hatte ich eigentlich nicht für möglich gehalten. Als sich aber kurzfristig eine Möglichkeit dazu ergab, habe ich nicht lange gezögert und zugesagt.

 

Dabei  handelte es sich  nicht um eine touristische Reise im engeren Sinne. Es war vielmehr eine Fahrt des „Arbeitskreises Bernstein“ mit einem entsprechenden thematischen Hintergrund. Die Reise nach Mexiko hatte neben dem Thema Bernstein allerdings auch einige weitere Highlights, wie z. B. den Besuch der riesigen Tempelanlagen bei Mexiko City (Azteken) und in Chiapas (Mayas). Das umfassende Programm enthielt zudem auch Punkte wie „Treffen mit Regierungsvertretern“ oder „Diskussion mit Wissenschaftlern“. Dass diese Programmpunkte im letzten Moment teilweise abgesagt wurden, wird verständlich, wenn man den Ablauf der Reise während der letzten Tage betrachtet.

 

Wenn ich vor der Reise eine Vorstellung von dem Land hatte, war die geprägt von eher kritischer Distanz. Ich verband es nach Berichten in den Medien mit den Begriffen Kriminalität und Bandenumtriebe, Drogenkartelle und einer unwirtlichen Landschaft, in der nur Kakteen gedeihen. Wie weit ich damit daneben lag, jedenfalls soweit es die von uns besuchten Gebiete betraf, merkte ich aber  schnell.

 

Eine Ausnahme war allenfalls das Schicksal  der Frauen, die Opfer von Gewalt wurden und deren Schicksal gerade in den Medien Furore machte. Das hatten einige unserer mexikanischen Gesprächspartnerinnen auch selbst angesprochen.  Persönlich hatte ich aber eher den Eindruck, dass die mexikanischen Frauen in der Öffentlichkeit, insbesondere im Kulturbetrieb, stark und selbstbewusst präsent waren.

 

Mexiko erwies sich insgesamt als geschichtlich und kulturell hochinteressantes Land, das übrigens auch viele ausgewiesen schöne Landschaften, Wälder, Flüsse und Wasserfälle zu bieten hatte. Hinzu kam, dass die meisten Bewohner entspannt und freundlich waren.

 

Teilnehmer der Reise waren neben mir noch acht weitere Mitglieder des Arbeitskreises bzw. deren Ehepartner. Carsten, der Leiter des Arbeitskreises und „Kopf“ in Sachen Bernstein, hat die Reise auf der deutschen Seite vorbereitet. Er ist Biologe und hat  eine Reihe von Büchern geschrieben, die keine Fragen zum Bernstein offen lassen. Sein Spezialthema sind die Inklusen im Bernstein.

 

Für Ludwig gilt im Ergebnis ähnliches. Er war der Senior der Gruppe. Zur Gruppe gehörte auch noch Brigitta. Sie ist Schmuckexpertin und staatlich geprüfte Gemmologin. Schließlich gehörte auch Eckhard zu den Teilnehmern. Er ist nicht nur Bernsteinliebhaber, sondern kennt sich gut aus mit allgemeinen Fragen zum Bernstein und den verschiedenen  Bearbeitungstechniken. Er war schon einmal, wie übrigens einige andere auch, auf Bernsteinsuche in Mexiko.  

 

Zusammengefasst waren wir eine bunte Truppe von Bernsteinexperten und -liebhabern, die sich Anfang März 2020 auf den Weg machte. 

 

Als wir in Mexiko City landeten, wo wir auch  noch für einige Tage blieben, um uns an das Land zu gewöhnen, war das wie ein Schritt in eine andere Welt. Die Stadt hat, je nachdem, welche Bezirke  hinzugezählt werden, zwischen 8 und 20 Millionen Einwohner und galt bis vor wenigen Jahren als größte Stadt der Welt.

 

Die ersten Tage dienten dem Kennenlernen unserer mexikanischen Partner, allen voran Antonio,  der diese Reise angeregt und in Mexiko organisiert hatte,  sowie  Luz, die lange in Berlin gelebt hat und die hier unsere  Dolmetscherin war. Außerdem gehörten zu der Gruppe noch: Arturo, ein Professor für Geschichte, der alles über die mexikanische Kultur wusste und in englischer Sprache vermitteln konnte, sowie Jorge. Er hatte wiederum den Vorteil, dass er auch Deutsch sprach, weil er einige Zeit in Deutschland als Bildhauer gearbeitet hatte.

 

Wir lernten die Stadt kennen, sahen Straßen, in denen sich wie in New York ein Wolkenkratzer an den anderen reihte, fanden schöne öffentliche Parkanlagen und Gebäude, Museen, aber auch Viertel, in denen man nachts besser nicht allein unterwegs war. Als wir das einmal zu zweit trotzdem taten, war das kein Übermut, sondern es lag daran, dass wir uns hoffnungslos verlaufen hatten und lange nach englischsprachigen Bewohnern suchten. Die Auskunft war, dass man hier besser nicht weitergehen sollte. “This is too dangerous“. Die Auskunft war hilfreich und wir kamen schnell wieder auf den richtigen Weg. An dieser Stelle will ich nur kurz daran erinnern, dass die Mexikaner, wie oben bereits angemerkt, immer freundlich, hilfsbereit und zuverlässig waren. Das galt übrigens für die gesamte Kommunikation und auch für die späteren Verhandlungen und Gespräche über den Tausch oder Kauf von Bernstein.

 

Wenn man schon mal Mexiko City besucht, ist man schnell von der Vielfalt der Stadt begeistert. Ein absolutes Muss ist die zentral gelegene Kathedrale. Sie wurde auf den Ruinen des großen  aztekischen Tempels erbaut Diese Ruinen kann man heute auch besichtigen.

 

Die Geschichte der  Azteken und ihr Zusammentreffen mit den spanischen Konquistadoren ist aber eine Geschichte für sich, auf die ich hier nicht im Detail eingehen will. Was sich für einen Besuch anbot, war allerdings die Ruinenstadt Teotihuacán, die nur 40 km entfernt lag. Sie war bereits ab 100 v. Chr. bewohnt. Mit der Sonnenpyramide und der Mondpyramide und der beide Gebäude verbindenden „Straße des Todes“ erinnert sie an die  Rituale, die es dort gab.

 

Ein besonderes Detail ließ uns  keine Ruhe. Um sicherzustellen, dass die Sonne auch jeden Tag aufs Neue erschien, wurde ein Mensch (z. B. ein Kriegsgefangener) am Vortag als Opfergabe an den Sonnengott getötet. Wenn man zynisch sein will, könnte man sagen, dass das Ritual  jedenfalls Erfolg hatte. Es fällt aber schwer, diese Begründung nachzuvollziehen.

 

Nach diesem letzten Tag mit einem noch anschließenden Besuch in einer Obsidian- Werkstatt in der Region konnte nun endlich die zweite Phase unserer Reise beginnen. Sie führte uns in den Bundesstaat Chiapas im Süden von Mexiko an der Grenze zu Guatemala. Wegen der großen Entfernung (auf der Straße hätte es 15-17 Stunden gedauert), wurde diese Strecke wieder per Flugzeug zurückgelegt.

 

Das Programm war vollgepackt  mit  Veranstaltungen und Fahrten, wie z. B. einer Schiffsfahrt im Cañón del Sumidero (Wände über 1 km hoch) vorbei an Alligatoren und anderen Wildtieren. Ein  weiterer Höhepunkt war die Begegnung mit der Maya- Kultur und ihrer Mythologie. Dazu gehörte auch ein Aufenthalt in Chamula, wo sich die Bewohner ihre Eigenständigkeit bewahrt haben und in einer Kirche ihre Maya- Rituale pflegen. Interessant ist jedenfalls, dass die katholische Kirche und die Maya - Kultur sich im Laufe der Zeit  arrangiert haben und die Mayas ihre Rituale inmitten von christlichen Symbolen  in der Kirche ausüben.

 

Hinzu kamen noch Treffen mit unseren mexikanischen Freunden und Begleitern, der Besuch der  Tempelanlagen in Palenque,  Besuche in verschiedenen Museen und vieles mehr. 

 

Trotz dieser Fülle war das Programm vor allem dem Thema Bernstein gewidmet, das ja auch der eigentliche Anlass für die Reise war.

 

Der mexikanische Bernstein ist etwa 20 Millionen Jahre alt und damit nur etwa halb so alt wie  der hierzulande bekannte Bernstein aus der Ostsee. In kleinen Minen ist er allerdings  in relativ großen Mengen vorhanden, auch wenn das hierzulande nicht ganz so bekannt ist.

 

Es gibt viele Bernsteine mit  Inklusen (Einschlüssen von Insekten und Pflanzen). Es gibt auch sehr große Bernsteine. Ein Bernstein, den ich in der Hand hielt, wog über 7 kg. Eigentlich war das schon ein absolutes Museumsstück. Die Stadt San Christobal, in der wir mehrmals übernachteten, hat zwei Bernsteinmuseen und zeigt darin neben interessanten Einschlüssen auch herrliche Schnitzereien und andere Kostbarkeiten. Man kann annehmen, dass Bernstein ein nicht ganz unbedeutender Wirtschaftsfaktor in der Stadt  ist.

 

Die Bernsteinliebhaber in unserer Gruppe hatten einen Stein besonders im Auge. Das war der rote Bernstein, der ja eine besondere Ausstrahlung hat und bei unserem Bernstein von der Ostsee eher selten zu finden ist. Nach wenigen Tagen in der Region machten wir uns deshalb auf den Weg nach Simojovel, um wie verabredet eine Mine aufzusuchen und darin auf Entdeckungstour zu gehen. Schon auf dem Hinweg deutete sich an, dass das kein „Sonntagsspaziergang“ werden würde.

 

In dem Gebiet leben ganz überwiegend indigene Völker, die eine Art Autonomie für sich reklamieren. Zwei- oder dreimal erlebten wir, dass in knapp 1 m Höhe ein Seil über die Straße gezogen wurde. Vom Fahrer des Autos wurde dann eine Art „Straßenbenutzungsgebühr“ verlangt. Da diese Praxis zu keinen Übergriffen führte und der geforderte Betrag durchweg gering war (umgerechnet nur einige Euro), zahlte der Fahrer unseres Autos ohne groß zu protestieren. Angesichts der Lebenssituation der Einwohner in dieser Gegend war das sicher eine kluge Entscheidung.

 

In Simojovel  ging es dann zu den Minen bzw. Höhlen. Der Weg hinauf war schon eine echte Herausforderung, weil der Weg sehr schmal war und es auf der bergabgewandten Seite nicht gerade senkrecht, aber doch recht steil nach unten ging. Alle kamen aber gut an. An der Mine selbst wurde es noch einmal mühsam. In kleinen Gruppen mit Stirnlampe machten wir uns auf den Weg ins Innere. Der Gang wurde immer enger und es wurde immer heißer. Ständig fragte unser „Mineur“, ob ich noch genug Luft zum Atmen hatte. Das konnte ich guten Gewissens bejahen. Da der Weg  aber einigen Stellen nur noch maximal bis etwa 1,40 m hoch war, bestand das größere Problem in den Rückenschmerzen an den nächsten Tagen.

 

Wie kam man aber nun an den Bernstein?  Der Minenarbeiter zeigte mir, wie das geht. Er bat mich, mein Licht ganz zu löschen. In der Dunkelheit  richtete er den Schein seiner UV-Lampe auf die Wände. Dadurch zeichneten sich klar die Bernsteine ab. Einige brach er selbst ab.

 

Auch ich  kratzte einige heraus. Das geschah aber offen und der Mineur bekam am Ende auch eine gewisse „Entschädigung“.  Die Frauen gingen übrigens mit einer weiblichen Führerin  in die Mine und blieben im vorderen Teil,  was einige bedauerten. Ich war bei der Rückkehr so verdreckt, dass ich lange damit beschäftigt war, Teile der Kleidung auszuziehen und zu säubern. Das blieb jedenfalls denen erspart, die nicht so weit mitgingen.  




Am Tag  vor der Rückfahrt  haben wir übrigens noch eine weitere Mine bei Totolapa aufgesucht. Weil dieser Besuch anders verlief, möchte ich den Ablauf gleich auch noch schildern.

 

Nach meiner Erinnerung handelte es sich um einen selbst für diese Gegend ungewöhnlich heißen Tag. Kurz  nach dem Verlassen der Mine, die nur einige Meter in den Berg hineinreichte, spürte ich hinter mir eine plötzliche Unruhe. Jemand lag regungslos auf dem Boden.  

 

Ein Mitglied unserer Gruppe war in der Gluthitze -  man kann sagen  - weggetreten. Die Minenarbeiter versuchten für einen kurzen Moment alle anderen sofort wegzuschicken, weil sie befürchteten, dass anderen das gleiche passieren könnte. Das klappte natürlich nicht. Es führte stattdessen zu einer großen Solidarität in unserer Gruppe. Einige kletterten den Berg hinauf, um das Auto noch näher heranzuholen; einige mit medizinischen Kenntnissen sorgten dafür, dass er am Boden in der richtigen Lage war; der Minenarbeiter bastelte aus trockenen Palmenzweigen eine Art Dach, denn eine schattige Stelle gab es hier nicht und in der Mine war es noch heißer als draußen. Einige gaben den Inhalt ihrer Wasserflaschen ab, der auch benötigt wurde.

 

Als unser Mann wieder zu sich kam, sprach er mit leiser Stimme: Nicht so schlimm. War nur der  Kreislauf. In 10 Minuten kann ich wieder aufstehen. Er bewies, dass er ein zäher Typ ist. Wenige Stunden später war er wieder ganz fit und gehörte zu den ersten, die beim Wasserfall waren, den wir nachmittags aufsuchten.

 

Nach dieser Begegnung mit der Realität in den Minen, genaugenommen zwischen beiden Minenbesuchen, konnten wir uns noch bei verschiedenen Anlässen  dem Thema Bernstein widmen. Es gab in Simojovel, Totolapa, bei den Museumsbesuchen und insbesondere am letzten Wochenende in unserem Hotel Gelegenheit, Bernstein bei privaten Händlern  zu bewundern, über Preise zu verhandeln und Bernstein zu kaufen. Gesprächsthemen über Einschlüsse im Bernstein, besondere Stücke und allgemeine Fragen gab es genug.  Auch ich konnte nicht widerstehen, eine Schnitzerei mit einem Bezug  zur Welt der Mayas zu erwerben.

 

Ziel war aber noch mehr. Vereinbart war bereits, dass wir unsere mexikanischen Freunde nächstes Jahr in Deutschland  begrüßen wollten. Der Arbeitskreis Bernstein  war auch interessiert daran, eine Zusammenarbeit durch wissenschaftlichen Austausch oder die Unterstützung  regionaler Pläne voranzubringen. Was das genau sein würde, konnte allerdings nicht mehr ausdiskutiert werden. Die für den letzten Tag geplanten Programmpunkte mit Regierungsvertretern und Wissenschaftlern fielen nämlich aus, weil ein Virus, der bereits in Europa wütete, nun endgültig auch in Mexiko angekommen war.

 

Von einem Tag zum anderen  gab es sichtbare Veränderungen in der Stadt. Von einer lokalen Initiative war beschlossen worden, Ein- und Ausreise nach San Christobal zu unterbinden. Unsere Begleiter fanden allerdings zunächst noch Umwege, die es ermöglichten, zum Hotel zu gelangen. Im Stadtbild sah man plötzlich die meisten Bewohner mit Mundschutz auf der Straße. Um größere Versammlungen zu vermeiden, wurden öffentliche Gebäude wie z. B. Museen geschlossen. Und an  hin und wieder  auftauchenden Kontrollpunkten vor der Stadt sah man Soldaten mit Stahlhelm und Bewaffnung, die jeden Gedanken an längere Diskussionen schnell beendeten.

 

Es war allerdings unser letzter Tag  in Mexiko: der 23. März. Wir waren froh, dass unser für den 24. März geplante Rückflug nach Europa gerade noch so reibungslos klappte.

 

Wegen abgesagter Anschlussflüge nach Deutschland  brachten uns dann am Ende von Amsterdam Mietwagen  nach Hause Richtung Frankfurt oder Richtung Hamburg.  Das alles änderte am Ende nichts  an unserer gemeinsamen Einschätzung: Wir hatten mit viel Glück (fast) alle geplanten Vorhaben und den größten Teil des Rückflugs durchführen können und dabei einen ganz einmalig interessanten Aufenthalt in Mexiko erlebt. .

 

Elmar Reinke

 

 

 

Anmerkungen von Carsten Gröhn:

 

Zu den geologischen Verhältnissen: Der Kalksandstein in den beiden besuchten Gruben war erstaunlicherweise sehr unterschiedlich. In Simojovel musste der Bernstein aus äußerst hartem Gestein mit Vorschlaghammer und schwerem Meißel geschlagen werden; in Totolapa reichte ein großes Messer, befestigt an einem Stiel, um das weiche Gestein abzusprengen. Der rote Bernstein befindet sich in den ersten Metern einer jeden Grube und zeugt von Verwitterung. Die Oberfläche ist rotbraun krustig verwittert. Nach vorsichtigem Abschleifen der Kruste bekommt man einen wunderschönen roten Bernstein, der allerdings zur Mitte hin klar wird (beim aufgesägten Bernsteinen zu erkennen).

 

Die Bernstein-Fördermenge in Chiapas liegt zwischen 100 und 200 kg pro Jahr, das ist im Vergleich zum Baltischen Bernstein aus Jantarny mit 300 Tonnen sehr wenig, aber die Förderumstände sind entsprechend schwierig. Übrigens: keiner der Stollen, die bis zu 100 m tief in den Berg getrieben waren, hatte irgendeine Abstützung.

 

Lúzmica heißt eine kleine Gruppe von acht Bernsteinkünstlern, von denen einige uns häufig begleiteten. Diese Gruppe möchte gerne engeren Kontakt zum Arbeitskreis Bernstein aufbauen. Geplant ist:

Präsentation der Gruppe auf unserer website, Herstellung von Kontakten zu Wissenschaftlern, die die reichlich vorhandenen Inklusen näher bestimmen und vielleicht sogar als Holotypen beschreiben, gegenseitige Besuche – spätestens im nächsten Jahr zur Sommertagung können wir mit einer Delegation rechnen.


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